64-Herabsenkung der Wesentlichkeitsgrenze bei § 17 EStG – Verfassungsrechtliche Auswirkungen auf Veräußerungsgewinne
- Alexander Graf
- 2. Nov.
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Aktualisiert: vor 5 Tagen
Die Entscheidung des Niedersächsisches Finanzgericht vom 26. August 2025 (Az. 12 K 250/11) befasst sich mit zentralen verfassungsrechtlichen Konsequenzen der Herabsenkung der sog. Wesentlichkeits- oder Beteiligungsgrenze im Einkommensteuergesetz (§ 17 EStG). Diese Vorschrift regelt die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen bei Anteilen an Kapitalgesellschaften – insbesondere dann, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre zumindest eine bestimmte Beteiligungsquote gehalten hat.

Sachverhalt
Der Rechtsvorgänger der Kläger hielt eine Beteiligung von über 1 % – jedoch unterhalb der früheren Grenze von 10 % – an einer Kapitalgesellschaft. Die Beteiligungsgrenze war in einer Gesetzesänderung mit Wirkung zum 1. Januar 2002 von 10 % auf 1 % gesenkt worden. Gemäß dem Finanzamt wurden daher bei der Veräußerung im Jahr 2002 alle Wertzuwächse steuerpflichtig, wobei zur Ermittlung des Anschaffungspreises der Wert am Stichtag der Gesetzesverkündung (26. Oktober 2000) und nicht die historischen tatsächlichen Anschaffungskosten herangezogen wurden. Das Gericht bestätigte diese Vorgehensweise.
Verfassungsrechtliche Prüfung
Die Hauptfragen: Bis zu welchem Zeitpunkt sind Wertsteigerungen steuerfrei zu belassen? Gilt bei der Herabsenkung der Beteiligungsquote ein Schutzbedarf für Steuerpflichtige? Das Gericht stützte sich auf frühere Entscheidungen des Bundesverfassungsgericht (u. a. Beschluss vom 7. Juli 2010, Az. 2 BvR 748/05) und ging davon aus, dass Wertzuwächse bis zum Datum der Gesetzesverkündung (26. Oktober 2000) aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht besteuert werden müssen – Wertsteigerungen danach jedoch schon.
Das Gericht betonte, dass ab dem Zeitpunkt der Gesetzesverkündung Steuerpflichtige damit rechnen mussten, dass eine Änderung der Rechtslage bevorstand – insbesondere, da die neue Beteiligungsgrenze zum 1. Januar 2002 in Kraft trat. Demzufolge war kein ausnahmsloser Vertrauensschutz hinsichtlich späterer Wertzuwächse gegeben.
Weitere Aspekte
Zudem entschied das Gericht, dass Steuerberatungskosten, die im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens zur Frage der Steuerpflicht eines Veräußerungsgewinns aufgewandt wurden, nicht als Veräußerungskosten im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG abziehbar sind – weil sie nicht durch den Veräußerungsvorgang selbst, sondern durch die Nachprüfung der Steuerpflicht veranlasst seien.
Bedeutung für die Praxis
Diese Entscheidung hat große Bedeutung für Steuerberater und betroffene Unternehmen:
Bei Anteilsveräußerungen nach Änderung der Beteiligungsquote gilt es, den Zeitpunkt der Gesetzesverkündung und den Zeitpunkt der Veräußerung genau zu prüfen.
Steuerpflichtige sollten ggf. prüfen, ob sie Anspruch auf eine Reduktion der Besteuerungsgrundlage für Wertsteigerungen bis zur Gesetzesverkündung haben.
Die Abzugsfähigkeit von Kosten im Rechtsbehelfsverfahren wird eingeschränkt- das wirkt sich auf die Nettogewinnermittlung aus.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wurde zugelassen – eine endgültige höchstrichterliche Klärung steht noch aus.
Fazit
Die Herabsenkung der Beteiligungsgrenze im § 17 EStG wirft verfassungsrechtlich anspruchsvolle Fragen auf, insbesondere zu Vertrauensschutz und Gleichheitssatz. Das Urteil des FG zeigt, dass Steuerpflichtige nur bis zum Tag der Gesetzesverkündung einen Schutz vor Besteuerung der bisherigen Wertzuwächse erwarten können. Bei geplanten Anteilsveräußerungen lohnt die rechtliche Prüfung im Vorfeld, um mögliche steuerliche Risiken zu minimieren.


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